Street Art: Graffiti und mehr

Artikel #38

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von Sonja

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Gesellschaft

Sie gehört zur gymnasialen Ausbildung dazu: Die Maturaarbeit, eine individuelle, selbstständige Arbeit, zu einem eigens ausgewählten Thema. Mia Bodenmüller hat für ihre Arbeit das Thema Street Art ausgewählt und dazu ein eigenes Street Art Projekt in ihrem Quartier, dem Breitenrain, realisiert.

Wie beschreibst du Street Art?

Street Art ist eine individuelle Ausdrucksform, die ins anonyme Stadtbild eingreifen will.

Welche Street Art Techniken gibt es und welche hast du ausprobiert?

Die bekannteste Technik ist wahrscheinlich das Graffito. Es gibt aber auch sehr viel mehr, wie zum Beispiel das Plakat oder Schablonen. Sticker, Installationen, 3D-Figuren oder Skulpturen gehören auch dazu. Manchmal wird sogar gehäkelt oder genäht. Street Art ist also ein sehr breiter Begriff. Ich habe mich für das Plakat entschieden. Diese Technik ist sehr praktisch, weil man auf Papier arbeitet und damit kenne ich mich aus. Ich konnte im A4-Format arbeiten und die Zeichnungen dann im Kopiergeschäft vergrössern lassen. Somit habe ich viel Zeit gespart.

Was gefällt dir besonders an Street Art?

Ich finde sie macht langweilige Orte interessant. Sie macht sie schöner, lebendiger, fröhlich, interessant, individuell, persönlich. Ich finde, Street Art ist etwas sehr Wichtiges, denn sie ist eine Möglichkeit, die eigene Meinung in die Welt hinauszutragen. Das finde ich schön.

Was würdest du an Street Art ändern?

Street Art ist offen für alle, aber ich möchte nicht, dass z.B. sexistische oder rassistische Botschaften in der Stadt verbreitet werden. Es ist schwierig, die Grenze zu ziehen, was man darf und was man nicht darf. Ich finde es auch schade, dass es in der Schweiz so schwierig ist, legal Street Art zu machen. Ich glaube, dieser Umstand hält viele Menschen in der Schweiz davon ab, sich im öffentlichen Raum auszudrücken.

Kennst du andere Street Art Künstler*innen/ hattest du ein Vorbild?

Der bekannteste Street Art Künstler ist Banksy. Er war auch für mich eine Inspiration, weil er sehr gesellschaftskritisch ist und das gefällt mir. Er hat wirklich eine Message. Vom Stil her ist der französische Levalet ein Vorbild, da er lebensgrosse Plakate von Menschen macht.

Wie ist Street Art entstanden?

Ich habe das im Rahmen meiner Arbeit recherchiert. Es gibt Quellen, die besagen, dass die Höhlenmalerei der Ursprung von Street Art gewesen sei. Aber ich würde sagen, Street Art im Sinne von «ins anonyme Stadtbild eingreifen und gegen Autoritäten protestieren» kommt aus den 1970er Jahren in den USA, wo die Gangs in den Ghettos begonnen haben, Schriftzüge im öffentlichen Raum zu sprayen.

Was unterscheidet Street Art von Graffiti?

Ich zähle Graffiti zu Street Art, weil sie auch hinterfragen, wer das Recht hat, im öffentlichen Raum zu kommunizieren. Es stellt sich immer die Frage, wo die Grenze zu Vandalismus ist, aber ich würde sie grundsätzlich auch zu Street Art zählen.

Wie bist du darauf gekommen deine Maturaarbeit zum Thema Street Art zu machen?

Ich habe mich schon immer für Street Art interessiert. Wenn ich eine Arbeit gesehen habe, die mir gefallen hat, habe ich sie für mich fotografiert. Als ich im Herbst 2018 in Lyon war, ist mir aufgefallen, wie viel Street Art es dort gibt. Im Gegenzug ist mir aufgefallen, wie wenig Street Art es in Bern gibt. Weil ich das sehr schade finde, habe ich mich entschieden, etwas dagegen zu unternehmen.

Wie hast du dich auf deine Maturaarbeit vorbereitet?

Für die Vorbereitung des Projekts habe ich sehr viel Zeit benötigt. Ich habe mit vielen Menschen Kontakt aufgenommen. Das Veranstaltungsmanagement der Stadt Bern hat mich informiert, dass ich eine Bewilligung, die mindestens 250 Fr. kostet, brauche, wenn ich auf öffentlichem Boden ein Projekt machen will. Oder ich könnte das Projekt an einer Hausmauer machen, dann müsste ich mit den Hauseigentümern reden. Das habe ich dann gemacht, weil mir die Bewilligung zu teuer war. Ich habe also die Liegenschaftsverwaltung der Stadt Bern angefragt und diese erklärte sich einverstanden mit meiner Projektidee. Danach habe ich in meinem Quartier ein Interview zum Thema Glück mit Menschen, die ich kenne, gemacht. Das war auch relativ zeitaufwendig.

Wieso hast du das Thema «Glück im Quartier» gewählt?

Ich habe sehr lange nicht gewusst, was ich machen will. Ich habe mir überlegt, ich könnte so etwas wie Banksy machen, etwas Gesellschaftskritisches oder ein Problem aufzeigen, das die Gesellschaft hier hat. Doch dann habe ich gemerkt, dass die Probleme, die wir haben, nicht so gravierend sind und dies wahrscheinlich ein Grund ist, weshalb es hier so wenig Street Art gibt: Wir haben gar kein Bedürfnis, gegen irgendwelche Autoritäten zu protestieren, weil es uns im Durchschnitt sehr gut geht. Dann kam ich auf die Idee, dass ich ja gar nichts Negatives darstellen muss, sondern etwas zum Thema Glück machen könnte. Ich habe mich im schriftlichen Teil meiner Arbeit auch noch theoretisch mit Glück befasst.

Wie bist du vorgegangen, um dein Projekt zu realisieren?

Ich habe eine Umfrage gemacht und die Antworten darauf in drei Kategorien eingeteilt: «Kinder und Jugendliche», «Eltern» und «Grosseltern». Dann habe ich mich entschieden, zu jeder Generation ein lebensgrosses Plakat zu machen. Ursprünglich wollte ich meine Plakate lebensgross gestalten. Weil ich ziemlich unter Zeitdruck gekommen bin und keine Zeit mehr hatte, lebensgrosse Bilder zu malen, habe ich mich entschieden, sie im A4-Format zu machen und im Kopiergeschäft vergrössern zu lassen.  Zunächst musste ich drei Personen auswählen, welche eine interessante Antwort gegeben hatten. Diese habe ich dann bei ihnen zu Hause fotografiert. Danach habe ich die Fotografien mit Fineliner durchs Fenster durchgepaust und mit Wasserfarben ausgemalt.

Worauf hast du bei der Realisierung deines Projekts geachtet?

Mir war es wichtig, dass die Darstellung möglichst realistisch ist, weil ich realistische Zeichnungen mag. Das hat sich auch sehr bewährt, denn es sind immer wieder Leute vorbeigelaufen, die die Menschen erkannt haben. Das war sehr schön.

Wie lange hat dein Projekt gedauert, vom Anfang, bis zum Abgabetermin?

Im Dezember 2018 mussten wir sagen, welches Thema wir nehmen. Da wusste ich erst, dass ich das Thema Street Art wollte. Ich wusste nicht, ob ich eine theoretische Arbeit schreiben, oder mein eigenes Projekt realisieren wollte. Im April wurde das Ganze etwas konkreter; ich habe begonnen zu recherchieren und Anfragen zu schreiben. Bis Juni hatte ich dann alles organisiert. Die eigentliche Arbeit habe ich hauptsächlich in den Sommerferien gemacht.

Hast du deine schriftliche Arbeit rückblickend geschrieben oder hast du während deines Projekts schon begonnen?

Den schriftlichen Teil habe ich parallel dazu gemacht. Ich bin am Schluss noch ziemlich in den Stress gekommen, weil meine Kontaktperson der Liegenschaftsverwaltung in die Ferien gereist ist und ich keine schriftliche Bestätigung für die Arbeit an der Wand hatte. Das war etwa zwei Wochen vor dem Abgabetermin. Zum Glück konnte die Stellvertretung die Bewilligung noch organisieren.

Welche Schwierigkeiten hattest du während deiner Arbeit?

Ich hatte allgemein etwas Zeitdruck, denn ich habe das ganze Projekt falsch eingeschätzt. Ich würde beim nächsten Mal sicher darauf achten, dass ich die Bestätigung rechtzeitig erhalte, denn das ist eigentlich das Wichtigste an der ganzen Sache. Ansonsten hat alles sehr gut funktioniert. Es hat mich gefreut, wie die Leute, die ich angefragt habe, auf mein Projekt reagiert haben. Ich habe für sehr wenig Geld ein Atelier erhalten und viele Leute und Organisationen haben mich unterstützt, was nicht selbstverständlich ist. Das war für mich sehr positiv.

Was war das Highlight deiner Arbeit?

Das Schönste an der ganzen Arbeit war der Tag, als wir die Plakate aufgehängt haben. Viele Leute sind vorbeigekommen, stehengeblieben und haben Fragen gestellt, von kleinen Kindern bis zu älteren Menschen. Was mich ganz besonders berührt hat, war der Obdachlose, der immer vor dem Haus, an dem ich die Plakate aufgehängt habe, auf der Bank sitzt. Er hat gesagt, dass das einer der schönsten Tage seines Lebens gewesen sei. Das Kommunikative, Soziale hat mir am besten an dieser Arbeit gefallen.

Wo kann man sich über Street Art informieren?

Ich habe mit dem Buch «Urban Art Core» gearbeitet. Es zeigt verschiedene Street Art Techniken auf und am Anfang wird erklärt, was mit Street Art gemeint ist. Es hat auch sehr viele Bilder drin. Ansonsten hat mir Startstutz sehr geholfen, weil sie mich informiert haben, welche Projekte es schon gibt und an welchen Orten man Street Art machen kann. Startstutz ist sicher eine sehr gute Anlaufstelle für junge Menschen, die ein Projekt realisieren möchten.

Wo können andere Jugendliche Street Art in Bern machen?

Also ich kenne die Warmbächlibrache, oder das New Graffiti. Da kann man legal Street Art machen.

Worauf sollte man achten, wenn man ein Street Art Projekt in Bern realisieren möchte?

Man sollte abklären, ob es legal ist und dass alle Beteiligten damit einverstanden sind. Und dann sollte man das tun, was man für richtig hält.

Welche Ziele hast du für deine Zukunft?

Auf jeden Fall will ich jetzt erst mal die Matura machen. Ausserdem versuche ich im Moment das Propädeutikum in Kunst und Design zu machen, das ist der Vorkurs für ein Studium an einer Hochschule. Ich bin allerdings noch nicht sicher, ob ich wirklich in eine künstlerische Richtung gehen möchte.

Hast du einen konkreten Berufswunsch?

Nein, noch nicht. Ich schreibe sehr gerne und möchte das auf jeden Fall in meinen zukünftigen Beruf miteinbringen. Das ist das einzige, was ich bis jetzt weiss.

Möchtest du noch weitere Street Art Projekte realisieren?

Street Art hat mich gepackt und ich könnte mir sicher vorstellen, wieder ein Projekt zu realisieren.

Bildlegende:

Foto 1: Die beendete Arbeit

Foto 2: Die 18-jährige Street Art Künstlerin Mia Bodenmüller aus dem Breitenrain.

Foto 3,4: Mia beim Aufhängen ihrer Plakate.